30 Sep

kontertext: Tapfere Schweizer antworten Greta Thunberg

Felix Schneider / 30. Sep 2019 – Die «NZZ» und die «Basler Zeitung» – hilflos vor der Radikalität der Klimaschutzbewegung.

Auf Greta Thunbergs Rede vor der UNO in New York haben «NZZ» und «BaZ» mit Leitartikeln reagiert, die sich inhaltlich kaum unterscheiden, im Ton aber sehr. Peter Rásonyi , «1966 in Zürich als Sohn ungarisch-deutscher Eltern geboren» (Impressum «NZZ»), Leiter der Auslandredaktion der «NZZ», gibt die besorgte, väterliche «Führungspersönlichkeit» (Chefredaktor Gujer). «BaZ»-Redaktor Sebastian Briellmann, von Alfred Schlienger im Infosperber vorgestellt als: «Jung- und Multitalent, Sportreporter, Sprachkünstler, Trump-Fan, Allergiker gegen alles Klimabewegte, Chefkommentator für die gesamte Welt- und Wirtschaftspolitik» gibt das Rumpelstilzchen. An beiden lässt sich ablesen, wie herausfordernd die Klimabewegung geworden ist.

Zuerst tischen uns beide die alte, eher leistungsschwache Rädelsführer-Theorie auf, hier in Form der Hexen-Theorie. Rásonyis Befürchtung, das Wunder Greta könnte, allein mit ihren Worten, eine ganze Generation radikalisieren, kann nur in einem Kopf entstanden sein, der nie an einer Basisbewegung teilgenommen hat. Briellmann liefert die aggressivere Variante. Er sieht Greta wüten, bezeichnet sie als hysterisch, ihre Rede als «Brutaloattacke» und die Klimabewegung als «fast religiös». Passend dazu auch die Auswahl des Fotos, das Thunberg als verkrampfte Fanatikerin zeigen soll. Briellmann ist der perfekte Kandidat für die «Greta Thunberg helpline. For adults angry at a child». Ruf an, Sebastian, dort wird dir geholfen!

Brav sein, Jungs und Mädels!

Beide, Rásonyi wie Briellmann, akzeptieren den Generationenkonflikt als Interpretationsrahmen und verstärken ihn. Die Parole scheint zu sein: Wenn die Jungen eine Zukunft verlangen, müssen sich die Älteren gegen sie zusammenschliessen. Bei Rásonyi kommt das papihaft herablassend daher. Thunberg, sagt er, «ist ein Kind, das für seine Aussagen und Theorien nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. (…) Kritische Fragen müssen sich allerdings all die Erwachsenen gefallen lassen, die Thunberg in ihrem radikalen Tun unterstützen». Von den Erwachsenen verlangt er mehr «Realitätssinn und Verantwortungsbewusstsein». Briellmann stimmt dem zu und beklagt schlaffe Politiker, will aber zusätzlich andere Saiten aufziehen, ganz im Stil der schwarzen Pädagogik der 50er Jahre. Den Kindern müssen «Grenzen gesetzt» werden! Kinder müssen «erzieherische Massnahmen spüren»! Jung-Rumpelstilz in der nicht unkomischen Rolle des Paukers poltert: «Es ist nicht an Jugendlichen, den Entscheidungsträgern entgegenzuschleudern, diese seien nicht reif genug, zu sagen, wie es wirklich ist.» «Im Ton vergriffen» haben sie sich, diese Jugendlichen!

Sonst kommt die Polizei

Verteufelung, oder besser Verhexung, Delegitimierung, autoritäre Standpauke – und wenn das alles nichts hilft, haben wir doch immer noch law and order, Gesetz, Repression und Polizei. Rásonyi klopft mit dem Finger auf den Tisch: Schuleschwänzen widerspricht doch der «Schul- und Rechtsordnung»! Verkehrsblockaden in London verstossen doch gegen «Recht und Ordnung»! Warum wird das nicht durchgesetzt? Was ist denn hier los? Ich kann es Ihnen sagen, Herr Rásonyi: Teile der Bewegung haben verstanden, dass sie begrenzte Regelverstösse begehen müssen, wenn sie Wirkung erzielen wollen. Traditionen, auch die der Revolten um 1968, verschwinden und erscheinen oft sehr unvermutet.

«Radikal und unangenehm»

Und was ärgert die beiden? Sie sagen es deutlich in jeder dritten Zeile ihrer Leitartikel: Die Radikalität. Womit sie das Wesen der heutigen Klimabewegung treffen. Es ist eine radikale Bewegung. «Radikal und unangenehm», sagt Briellmann. Es ist eine Bewegung, die an die Wurzeln geht. Es ist eine Bewegung, die die Gesellschaft insgesamt und weltweit, ihre Produktions-, Reproduktions-, Lebens- und Denkweisen in Frage stellt. Erzeugt wird diese Radikalität einmal vom ökologischen System selbst. Es schert sich einen Dreck um die Schwierigkeiten der Politik und wird von der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein vermittelt. Es wird in sozialen und politischen Druck umgeformt von einer breiten, internationalen sozialen Bewegung, die ebenfalls nicht mehr unter allen Umständen bereit ist, die gesellschaftlichen Spielregeln zu akzeptieren.

«Politisch fast unmöglich»

Diese Bewegung ist bereits so stark, dass Rásonyis Verteidigung des Status quo und des «weiter so» ganz müd und schlaff ausfällt. Klimaschutz? Er seufzt: «Das ist extrem anspruchsvoll, politisch fast unmöglich.» Er bekennt: «Und ja, zu wenig ist erreicht worden.» Er schiesst ein Eigentor, wenn er «Lernprozesse» der Politik lobt, weil sie «seit drei Jahrzehnten im Gang sind». Weil die Bereitschaft zum Konsumverzicht fehle, weil die Bevölkerung zu schnell wachse und weil China, die USA und Indien beim Klimaschutz nicht mitmachen, ist eigentlich nichts, oder fast nichts möglich, so lautet sein Fazit. Und das stimmt ja auch – im Rahmen der bestehenden Spielregeln. Was ihm bleibt, ist eine abgenutzte Hoffnung auf Forschung, neue Technologien und marktwirtschaftliche Lenkung, ohne dass das Hauptproblem dabei angesprochen würde, nämlich der Zeitrahmen, das notwendige Tempo.

Von technischen und wissenschaftlichen «Neuschöpfungen» fantasiert auch Briellmann. Er trompetet aber auch eine ziemlich tumbe Fortschrittseuphorie in eine Welt, die in den letzten 200 Jahren immer besser und besser geworden sei. Als Rechtspopulist mit viel Wut und wenig Grammatik befindet er, «dass es für viele Menschen dringlichere, ja existenzielle Probleme gibt – und die überhaupt keine Musse haben, sich etwa von Greta, die aus behüteten, gutbürgerlichen Verhältnissen kommt, beschimpfen zu lassen (…)». Immerhin hat er auf seine verrückte und verquere Art erkannt, dass es um eine Systemfrage geht: «Es macht den Anschein, dass das Klima gar nicht mehr im Mittelpunkt steht – sondern eine alte Ideologie aus dem 19. Jahrhundert, genau: der Sozialismus (…)».

Neue Demokratieformen?

Ideen zur Systemveränderung sind rar. Eine politische Kraft dafür ist nicht vorhanden. Ein bemerkenswerter und zu wenig beachteter Versuch, für den Klimaschutz neue politische Spielregeln zu erfinden, läuft zur Zeit in Frankreich: die «convention citoyenne pour le climat». Der Filmregisseur und Umweltaktivist Cyril Dion hat am 9. August auf France Inter darüber berichtet. 150 für die Bevölkerung repräsentative Bürgerinnen und Bürger werden ausgewählt, von Experten beraten und von Spezialisten informiert. Sie werden während fünf Monaten öffentlich darüber beraten, wie man bis 2030 die CO2-Emissionen um 40 bis 80% reduzieren kann. Präsident Macron hat sich verpflichtet, ihre Beschlüsse entweder unverändert dem Parlament zu unterbreiten, einem Referendum zu unterziehen oder unmittelbar per Dekret umzusetzen.

Was eine solche Konvention bringen soll? Sie soll Massnahmen legitimieren, die notwendig, aber so radikal sind, dass keine Regierung und kein Parlament sie durchsetzen könnte. In Irland, in Texas und an anderen Orten hat man erstaunlich gute Erfahrungen mit Bürgerparlamenten gemacht. Der belgische Historiker und Autor David Van Reybrouck hat dazu ein informatives Buch geschrieben («Gegen Wahlen», Wallstein Verlag 2016). Das Gelingen solcher Experimente ist nicht garantiert. Einen Versuch sind sie wert.