08 Feb

Von der Freiheit der Meinungsäusserung

von Felix Schneider, zuerst erschienen in tachles vom 25. Januar 2019

Man kennt ihn: Andreas Zumach ist ein profilierter Journalist, UNO-Berichterstatter für viele Medien, spezialisiert auf internationale Politik und begabt mit einem guten Gedächtnis, das ihm ermöglicht, mit Fakten zu argumentieren. Vielleicht wurde ihm gerade das zum Verhängnis. 

Zumach hat in den letzten Jahrzehnten in Institutionen der Evangelischen Kirche Deutschlands Hunderte von Vorträgen gehalten. Umso schockierender, dass ein Vortrag, den er Anfang Dezember in der Evangelischen Erwachsenenbildung in Karlsruhe halten sollte, kurzzeitig, kurz und barsch per Email abgesagt wurde. 

Wie das? Angekündigt war der Titel «Israel, seine wahren und falschen Freunde», und das veranlasste Solange Rosenberg, stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, dazu, am 26. November 2018 den Leiter der Evangelischen Erwachsenenbildung Karlsruhe zu bitten, die Einladung Zumachs zu «überdenken», denn, so schreibt sie: «Herr Zumach ist (…) mit israelfeindlichen Äußerungen aufgefallen (u.A. Israel sei am Zunami schuld gewesen). Darüber hinaus sind die Aktivitäten von Herrn Zumach im Rahmen der BDS- und BIB-Kampagnen, die eindeutig auf die Delegitimierung des Staates Israel hinauslaufen, bekannt. Die BDS- und BIB-Kampagnen gelten als eindeutig antisemitisch (links-antisemitisch).“

Alle diese Behauptungen sind frei erfunden. Ganz unverständlich ist, dass Frau Rosenberg, die von den Israelitischen Religionsgemeinschaften in die Rundfunkräte und Programmausschüsse von Baden-Württemberg und des SWR entsandtist, die Absurdität verbreitet, Zumach habe Israel für einen Zunami verantwortlich gemacht. Zumach hat sich auch nie an Kampagnen der Israel-Boykott-Bewegung BDS beteiligt, dagegen sitzt er im Beirat von BIB, dem „Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung e.V“, zusammen mit Alfred Grosser und Horst Teltschik. Wenn Rosenberg behauptet, die BIB-Aktivitäten gegen die israelische Besatzung würden „eindeutig auf die Delegitimierung des Staates Israel hinauslaufen“, so geht sie offenbar davon aus, dass die Legitimität des Staates Israel v.a. in der Aufrechterhaltung der Besatzung besteht. Das empfinde ich nun wiederum als Verunglimpfung Israels. 

Keine 24 Stunden nachdem Solange Rosenberg diese Fake news in die Welt gesetzt hatte, hat sie sie auch schon alle widerrufen. Schriftlich. Problem erledigt? Vortrag ermöglicht? Keineswegs. Der Karlsruher Dekan Thomas Schalla hielt am Verbot von Zumachs Vortrag fest, auch nachdem die faktische Grundlage dafür entfallen war. 

Wie das? Fragt man sich schon wieder. Dekan Schalla begründet: Unabhängig von der Berechtigung oder Nichtberechtigung der Vorwürfe gegen Zumach müsse er «zur Kenntnis nehmen, dass ausweislich der offiziellen Stellungnahme von Seiten der Jüdischen Kultusgemeinde eine ernsthafte Störung des Verhältnisses in Karlsruhe (gemeint: zwischen Evangelischer Kirche und Jüdischer Kultusgemeinde, FS) eine wahrscheinliche Folge der Veranstaltung (…) gewesen wäre.“ In einer ergänzenden Stellungnahme erklärte Schalla dem Schreibenden, das Verbot sei aus Sorge um den Dialog zwischen jüdischer Gemeinde und Evangelischer Kirche erfolgt. Mitglieder der Jüdischen Gemeinde hätten Zumachs Veranstaltungen als „persönlich bedrängend empfunden“. „Diese subjektiven Erfahrungen hatte ich ernst zu nehmen. Ich habe sie im Interesse des immer sensiblen Dialogs höher gewichtet als den Vortrag des Referenten in Karlsruhe. Ich halte Andreas Zumach nicht für antisemitisch und sein Anliegen ebenso wenig.»

Zumach pflegt nach seinen Vorträgen ausführlich mit dem Publikum zu diskutieren und auf alle Bemerkungen einzugehen. „Bedrängend“ mag da allenfalls die zwingende Kraft von Fakten und Gedanken wirken. Dekan Falla hat sich dem Zeitgeist von Trump, Orban und Internet-bubbles opportunistisch angepasst. Er bewertet unüberprüfbare subjektive Befindlichkeiten und Eindrücke höher als Tatsachen. Diese Haltung, konsequent verwirklicht, eröffnet der Wirkung von fake news, Lügen, Wissenschaftsfeindlichkeit, Denunziationen und Irrationalismen aller Art Tür und Tor. Etwas Schlimmeres kann man einer Demokratie, die auf rationalen Diskurs und einen Minimalkonsens über Wirklichkeit angewiesen ist, gar nicht antun. 

Von „Tatsachenwahrheiten“ sprach Hannah Arendt, und von der Gefahr, dass die Wahrheit der Tatsachen als blosse Meinung relativiert, sonst wie entstellt, oder ganz ersetzt wird. «Was hier auf dem Spiele steht, ist die faktische Wirklichkeit selbst, und dies ist in der Tat ein politisches Problem allererster Ordnung», so Arendt, zitiert von dem in München lehrenden Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen, der seinerseits in München einen Vortrag von Zumach zu demselben Thema gegen massive Druck- und Drohversuche falscher Israelfreunde durchsetzen musste. Der Vortrag ist, vollständig aufgezeichnet, im Internet abrufbar. Einer seiner Kernsätze lautete: «Es kann und wird eine sichere und unbedrohte Existenz Israels nur geben, wenn auch das Recht der PalästinenserInnen auf die universellen Menschenrechte und ihre staatliche Selbstbestimmung verwicklicht ist.»

Gelegentlich aktiviert sich sogar die israelische Regierung selbst. Netanjahu hat versucht, mit einem Brief an Bundeskanzlerin Merkel Einfluss zu nehmen auf die inhaltliche Arbeit des Jüdischen Museums in Berlin. Das Simon Wiesenthal Center listet unter den «Top Ten Worst Antisemitic Incidents» des Jahres 2018 auf Platz 7 die Bank für Sozialwirtschaft, weil die «Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost» bei ihr ein Konto unterhält. Viele Städte, auch Zürich, setzen der Diskussion um Israel in ihren Räumen enge, politische Grenzen. Die Freiheit der Meinungsäusserung scheint eingeschränkt, wenn es um Israel geht.  

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