23 Feb

„firma“ von Klaus Merz

Klaus Merz: firma. Prosa, Gedichte. Haymon Insbruck, Wien 2019

Seit dem Erscheinen des letzten Bandes der 7 bändigen Werkausgabe sind von Klaus Merz der Gedichtband «Helios Transport» und ein Kettengedicht erschienen. Und nun noch etwas auch formal Neues: «firma». Der Band besteht aus 2 Teilen. Der erste Teil trägt den Titel: «Aus der Firmengeschichte 1968 – 2018». Fünfzig Prosaminiaturen schildern «Denkwürdigkeiten» aus fünfzig Jahren einer merkwürdigen Firma. Der zweiter Teil des Bandes besteht aus ungefähr ebenso viele Gedichten unter dem Titel «Über den Zaun hinaus». Pinselzeichnungen von Heinz Egger begleiten Prosa und Gedichte.

Um den Band vorzustellen, kann man vom letzten Gedicht ausgehen, das aus genau 10 Wörtern besteht:

Geständnis

Nichts geht
ohne den Beistand
der Wörter

gez. km

«gez.» steht für «gezeichnet», «km» für «klaus merz».

Dieser Band mit Prosa und Gedichten hat also eine Signatur, der Künstler hat sein Werk signiert, wie wir das von Gemälden kennen. Er bringt sich, seine Geschichte und seinen Namen ins Spiel. Im Bibliothekswesen ist die Signatur eine Standortsbestimmung. Firma heisst ursprünglich nichts anderes als Unterschrift, die Bedeutung Handelshaus ist von der sicheren Unterschrift später abgeleitet worden. «firma» ist Klaus Merz’ eigenwillige Form einer Autobiographie, die Suche nach dem, was firm also fest oder gültig ist oder war im Leben, die Suche nach der eigenen Handschrift, der Signatur. Das ist eine Standortbestimmung mit Hilfe der Rückschau und mit Hilfe eines Beistands:

Nichts geht
ohne den Beistand
der Wörter

Das kann man in zwei Richtungen lesen. Zunächst heisst das natürlich: wir brauchen immer und überall die Wörter. Aber auch: Ohne den Beistand der Wörter – da geht eben das Nichts. Jenseits der Wörter ist das Nichts.

Und in diesen Texten von Klaus Merz geht und ereignet sich das Nichts. Ganz selbstverständlich, übrigens. Wir leben in der Nachbarschaft des Nichts. Das Wort «Tod» kommt, so viel ich sehe, nirgends vor, ausser in Komposita wie Todesanzeige. Aber es gibt immer und immer wieder «Zeichen von drüben» (73) mitten in unserem Alltag, «Nachrichten von der vom Wind abgewandten Seite der vermeintlich realen Welt» (27), es gibt Stimmen aus dem Nichts plötzlich im Garten, es gibt einen Menschen wie Kilroy, der überall schon war, und niemand weiss, wo er herkam. Eine Welt des Todes, des Nichts, ist seltsam nahe, gleichsam um die Ecke, ganz wörtlich, jenseits des nächsten Zauns. Neben der Badeanstalt liegt der Friedhof. Die Welt der Porträts von Holbein und Rembrandt im Museum entfaltet einen Sog, in dem das lyrische Wir verschwinden möchte. Die Raucher spielen mit ihren Sargnägeln Versteckis mit dem Tod. Und das Nichts um die Ecke kann sogar tröstlich sein: «Ich befinde mich im Vorraum», sagt Frau Ampferer, Angestellte der Firma. Ihre epileptischen Anfälle sind erschreckend, aber: «Ihre Verletzlichkeit tut unserem Unternehmen gut» (60).

Den Beistand der Wörter finden wir in diesen Texte auf vielfältige, verblüffende, anregende, lustige Weise. Ich lade Sie ein, beim Lesen von Klaus Merz auf einzelne Schlüsselwörter zu achten, die plötzlich den Alltag, das Normale, das Gewöhnliche, die gängige Formulierung aufbrechen, zum Tanzen bringen.

Zum Beispiel:

«Wenn du morgen
zurückkehrst, Liebste
öffne ich dir
die Tür»

Nun, das wäre banal!

«öffne ich dir die Tür mit einem Schlüssel»

Das wäre peinlich

Aber:

«Wenn du morgen
zurückkehrst Liebste
öffne ich dir
mit einer Schlüssel-
Blume die Tür

Das ist ein Gedicht (74).

Wörter sind auch Historiker, sie situieren Texte in der Zeit: «Leckereienkabäuschen» ist ein liebenswert altmodisches Wort aus den 50er Jahre. Mit dem Wort «Kugelschreiber» hält aber die Zügellosigkeit von 1968 Einzug in denselben Text (9)!

Wörter können wie aktuelle Blitze in alte Kultur fahren: die Gewitterwolken über dem Schlachtfeld von Marathon – das ist ein altes Bild in einem Berliner Museum – laden sich mit neuer, gefährlicher Elektrizität auf, wenn der Betrachter in ihnen die Gefahren der Finanzkrise dargestellt sieht (52 Das erwähnte Bild «Schlachtfeld bei Marathon» von Carl Rottmann ist zu sehen: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Carl_Rottmann_-_Schlachtfeld_bei_Marathon_-_Google_Art_Project.jpg).

Überhaupt die Wolken! Sie dürfen in keiner Lyrik fehlen. Aber heute heisst die Wolke «cloud»…

Eine Familie ist schon oft dargestellt worden. Aber eine Familie auf dem Friedhof, eine Familie als – «Nachhut» (73).

Und die vorgefunden Wörter: «fit for ever», fit für immer und ewig, und schon sind wir wieder beim Nichts (132).

Es gibt kontaminierte Wörter wie «Heimat». Was tun damit? Ein Wort einschlagen lassen wie einen Blitz. So:

Nationalfeiertag

Heimat erfahren
heisst auch:
Zwischen alten
Fürzen ruhen. (108)

Wörter helfen beim Querdenken. Wörter helfen zusammenzufügen, was nicht zusammen ist, aber zusammengehören kann: «Ich» und «Korken» – hat nichts miteinander zu tun? Wenn das ich wie ein Korken auf dem Strom schwimmt, kann ein existenzielles Bild entstehen («Am Azonas», 123).

Oder: Börse! Kürzer kann man die Malaise von heute gar nicht ausdrücken. Nur muss man das Wort im richtigen Moment loslassen: «Ach, diese windige Arroganz der Börsenkurven gegenüber dem sanften Verlauf der Jurahügel in euren Rücken!» schreibt Kamber aus Berlin auf einer Ansichtskarte an seine Firma. Er ist aufgewühlt. Er lebt in Krisenzeiten. Er schliesst seine Postkarte an die Kolleginnen und Kollegen so:
«Und, ja, im Herzen ganz plötzlich eine Art von Heimweh. Nach Euch allen. Sig. Kamber.» (52)

Zusammenstehen als einzige Remedur gegen Börse und das Nichts – Sig. Wir alle. Könnten wir sagen.

Klaus Merz’ Lyrik kann Leute zusammenbringen, erstaunlich viele sogar. «Firma» ist in kürzester Zeit in dritter Auflage gedruckt.

(Fortsetzung folgt)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert