Generalstreik 1918: Theater in Olten und ein Grossvater
Viel Lärm um nichts in Olten
Die Regisseurin des Generalstreiksspektakels in Olten vertraut weder ihrem Stoff, noch den historischen Figuren noch den Mitwirkenden. Weder erzählt sie Geschichten vom Generalstreik, noch werden Menschen von damals lebendig, noch erscheinen die Mitwirkenden in ihrer Auseinandersetzung mit dem Stoff. Das Spektakel lebt von inhaltslosem Aktivismus. Hektik breitet sich aus. Ständig rennen Leute über die Spielfläche, klettern durch Fenster, steigen Säulen hoch, tauchen aus Versenkungen auf. Viel Lärm wird veranstaltet. Wagen werden reingeschoben, Metallknaller erzeugt, Holzdeckel auf den Boden gedonnert. Ein Choreograph bewegt Hunderte von Leuten: nett gestaltet, aber inhaltslos. Es bewegt sich halt immer etwas. Resultat: Zerstreuung. Vom Streik versteht man nichts. Die meisten Texte sind schon rein akustisch nicht zu verstehen, jedenfalls hab ich sie nicht verstanden, und meine beiden Nachbarinnen rechts und links von mir auch nicht. Auch in der Abfolge der Szenen herrscht heilloses, undurchschaubares Durcheinander. Von den Laien wird genau das verlangt, was sie nicht können: Identifikation, Schauspielern, papierene Texte verlebendigen. So sind sie peinlich, mitleiderregend. Eine Form, in der sie ihre spezifischen Qualitäten ausspielen können, wurde nicht gefunden. Insgesamt: Eine vertane Chance – der Generalstreik wäre ein wichtiges, auch dieser Tage viel zu wenig beachtetes Thema. Und das Spektakel hatte ja offenbar viel Geld zu Verfügung – zu viel.
Und wo bleibt das Positive? Die Musik! Da war ein Mittelding zwischen damals und heute zu hören, ein distanzierter Rückblick, der der Aufführung sonst fehlte. Und der Raum ist schön. Die Beleuchtung raffiniert. Technisch also paletti, aber inhaltslos.
Blocher, der Geschichtsverdreher
A propos 100 Jahre Landesstreik: Der Historiker Stefan Keller schreibt: „Im November will Christoph Blocher meinen Grossvater ehren. Er hat dazu eine Veranstaltung angekündigt mit alten Uniformen, Fahnen, Blocher-Gerede und Firlefanz.»
Der Historiker Stefan Keller: «Mein Grossvater, Paul Keller, war 20 Jahre alt, als er im November 1918 unter Sturmgeläute nach Frauenfeld ritt und mit seiner Einheit, einer Dragonerschwadron, in die Umgebung von Zürich verschoben wurde. Oder militärisch gesprochen: an die Front geworfen wurde zur Bekämpfung der «sozialistischen Revolution».
Offiziere, die Stefan Kellers Grossvater schikanierten, auch die Familie Wille, oder Herrn Oberstdivisionär Sonderegger sind gemeint, wenn Keller sagt:
«Von dieser grossbürgerlichen, später nazifreundlichen Bande, die stets in Saus und Braus gelebt hat, wurde meinem Grossvater im November 1918 also befohlen, gegen Arbeiter und Arbeiterinnen zu kämpfen, die jahrelang hatten hungern müssen. Und für seinen Einsatz im Generalstreik will Oberst und Milliardär Christoph Blocher meinen Grossvater jetzt ehren und ihn damit noch einmal missbrauchen.»