15 Jun

Kontertext: Lokalberichterstattung

Am Beispiel Bässlergut

Was kann, was könnte Lokalberichterstattung leisten? Ein paar Gedanken, während wir auf die neue Basel Zeitung warten.

Das zeitungsinteressierte Publikum in Basel wartet auf die neue Tamedia-BaZ. Wenn das Bild vom Mantel stimmt, wären ja Nationales und Internationales in Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Sport nur die (in Zürich fabrizierte) Hülle für den Körper. Die pièce de résistance wäre der Lokalteil.

Ob dem tatsächlich so ist in der globalisierten Internetwelt von heute, darf bezweifelt werden. Auch im journalistischen Prestige-Ranking kommt der Lokaljournalismus nicht eben gut weg. Und die ökonomisch motivierten Versuche, lokale Verankerung als Mittel gegen die Zeitungskrise einzusetzen, sind erlahmt. Trotzdem darf nach der Bedeutung, dem Zustand und den Möglichkeiten des Regionaljournalismus gefragt werden.
Im Raume Basel ist die Regionalberichterstattung keine Tabula rasa. Es gibt ausser der BaZ z.B. die BZ Basel, die Badische Zeitung, L’ Alsace und Dernières Nouvelles d’Alsace (beide gehören zur Crédit Mutuel-Gruppe und sind von Fusion bedroht), die Volksstimme (Zeitung für das Oberbaselbiet), die TagesWoche (im Netz und auf Papier), das Regionaljournal von Radio SRF, Internetportale wie barfi.ch, etc. Hier stellt sich die Frage: Will die BaZ mit den vorhandenen regionaljournalistischen Produkten kooperieren, in Konkurrenz treten oder einen Dialog unterhalten?

Nationale Scheuklappen

Eine allererste Aufgabe für einen zeitgemässen Basler Regionaljournalismus wäre es, die immer noch viel zu hohen Mauern zwischen Basel (Stadt und Land), Elsass und Baden einzureissen. Selbstverständlich erstreckt sich die Region über drei Länder, aber die Wahrnehmung des Regionaljournalismus ist nach wie vor national borniert. Um ein aktuelles Beispiel aus dem kulturellen Bereich zu nennen: Hat jemand in Basel irgendetwas über die derzeit laufende «Biennale de la Photographie de Mulhouse 2018» gelesen? Na, die Basler Regionalmedien werden dann über «photo basel» berichten.

Was kommt in die Zeitung?

Nehmen wir ein anderes konkretes Beispiel: Das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter NKVF hat in ihrem Bericht vom 28.6.2012 Kritik geübt: Die Ausschaffungshaft im Bässlergut unterscheide sich viel zu wenig vom Strafvollzug. Die Einschlusszeiten seien zu lang, die Zeiten für den Hofgang zu kurz, die Hausordnung zu strikt.

Die Basler Regionalberichterstattung hat brav die kurzen SDA- Meldung über den Bericht der NKVF abgedruckt, kaum mehr. Vergleicht man mit den emotional starken Berichten über Aktionen von Linksradikalen gegen den Gefängnis-Ausbau oder über einen Todesfall im Gefängnis, so muss man erstaunt die Frage stellen: Was halten diese Journis eigentlich für wichtig? Die für den diplomatischen Sprachgebrauch der Kommission immerhin heftige und grundsätzliche Kritik der NKVF oder die kurzlebigen Aktionen des schwarzen Blocks? Was wird skandalisiert? Die mangelnde Durchsetzung der Grundrechte oder die den populistischen Hetzern ins Weltbild passenden Demo-Bilder?

Zu den Zuständen im Gefängnis Bässlergut erschien wenig Vertiefendes, und das auch nur im Nachvollzug von politischen Initiativen, etwa von Basta-Grossrätin Heidi Mück oder von SP-Politiker Beat Jans, oder Oberflächlich-Zögerliches wie in der BZ vom 24.11.2015. Später wurden die beruhigenden Erklärungen der Gefängnisdirektion, sie hätten die Empfehlungen der Kommission umgesetzt, von der Lokalpresse weitergegeben. Alles in Ordnung also?

Das wäre doch interessant!

Fragt man die seit vielen Jahren unerschrocken tätige Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz vom «Solinetz Basel»  nach den Zuständen im Abschiebegefängnis Bässlergut, so erhält man ein anderes Bild. Noch immer seien die Einschlusszeiten zu lang, noch immer sei das Regime zu streng, noch immer würden Ausschaffungskandidaten behandelt, als seien sie Straffällige. Warum z.B. ist das Spielen von Musikinstrumenten verboten in der Ausschaffungshaft? Sich mit Anni Lanz zu unterhalten, sollte man jedem Regionaljournalisten, jeder Regionaljournalistin, zur Pflicht machen. Da gebe es doch Häftlinge, die behaupten, die Strafhaft in Baselland sei besser als die Ausschaffungshaft in Basel-Stadt, und sie beriefen sich dabei auf eigene Erfahrungen. «Das ist doch interessant! Dem müssten Journalisten doch nachgehen!», sagt Anni Lanz.

Seid zäh wie Bürokraten!

Da der Ramadan, den mehr als die Hälfte der Abschiebungshäftlinge einhalten, dieses Jahr in den Sommer fällt, sind die täglichen Fastenzeiten besonders lang. Die letzte warme Mahlzeit im Bässlergut wird um 12 Uhr ausgegeben, neun bis zehn Stunden später, wenn die Sonne untergeht, ist dieses Essen kalt und unappetitlich, trotz neuerdings abgegebener Wärmehauben. Anni Lanz hatte deswegen Thermoskrüge und Tütensuppen gekauft – durfte sie aber in das Gefängnis nicht hineinbringen. Nach einem Bericht im Regionaljournal  gab es im Gefängniskiosk Tütensuppen und plastifizierte Thermoskrüge zu kaufen, in welche die Insassen vor Zelleneinschluss um 17 Uhr heisses Wasser einfüllen können, um sich fünf Stunden später ein Süppchen anzurühren.

Sind die bescheidenen Erleichterungen Folgen des Berichts im Regionaljournal? Das lässt sich nicht nachweisen. Beobachten lässt sich aber ein grundsätzlicher Widerspruch: Die Langwierigkeit und Zähigkeit der unwilligen Gefängnisbürokratie steht in krassem Gegensatz zum Tempo und zur Oberflächlichkeit des Journalismus. Es fehlt diesem an Hartnäckigkeit, am Dranbleiben, am Nachbohren. Noch auffälliger ist: Die Häftlinge kommen im Regionaljournalismus äusserst selten vor, mit ihnen spricht niemand. «Und das wäre durchaus möglich», sagt Anni Lanz. Wir fragen die Häftlinge immer wieder, ob sie mit Zeitungen reden wollen, und viele sagen ja. Auch die andere Seite zu hören, ist doch ein Grundprinzip des Journalismus.»

Ein Programm für den Regionaljournalismus

Mit den Abschiebehäftlingen spricht regelmässig eine Gruppe von 10 bis 15 engagierten Menschen. Einer von ihnen, Silvan Rechsteiner, betont, wie wichtig es wäre, die Perspektive der Besuchenden in den Medien zur Geltung zu bringen. Wer regelmässig ins Gefängnis geht, habe eine besondere Nähe zu den Häftlingen, könnte Vermittler zu den Medien sein, den Journalisten helfen. Silvan Rechsteiner studiert an der Hochschule für Gestaltung und Kunst. Während er sich als Filmer, Künstler und Performer mit dem Thema Asyl und Flucht befasste, merkte er, dass es problematisch ist, bei den Betroffenen nur Inhalte für seine Künste abzuzügeln. Das sei, sagt er, eine «vampiristische Position». Er spürte die Notwendigkeit, sich realiter zu engagieren. Seither besucht und betreut er Abschiebehäftlinge im Bässlergut. Für seine Abschlussarbeit wollte Rechsteiner zuerst die Balkanroute bereisen, dann aber habe er bemerkt, dass es nahe und «vor Ort» spannender werde. Silvan Rechsteiner will Gegensätze erfahrbar machen. Er will zeigen, dass zu Basel nicht nur die Uhren- und Schmuckmesse gehört, sondern auch das Gefängnis, in dem Leute sitzen, die nur das Pech hatten, am falschen Ort geboren zu sein. Seine Absichten könnten einem kritischen Regionaljournalismus als Programm dienen! Auch ein Porträt dieses jungen Mannes wäre doch eine lohnende journalistische Aufgabe.

In einem Brief haben mehrere Besuchende um eine Gespräch mit dem Gefängnisdirektor gebeten, der aber einen Untergebenen vorschickt und nicht selbst erscheinen will. Nur mit dem Subdirektor zu sprechen, halten nun wiederum die Besuchenden für unergiebig. Vor ungefähr zehn Jahren hat die Gefängnisdirektion noch um Gespräche mit uns gebeten, ergänzt Anni Lanz. Auch hier müsste doch ein Journalist oder eine Journalistin nachhaken und alle Seiten befragen.

Was denken die Nachbarn?

Am 01.03.2018  erschien die Volksstimme in Sissach mit dem Bild eines bieder aussehenden Gasthauses in Lampenberg / BL. Erzählt wird, wie der pensionierte Pfarrer Fritz Ehrensperger Gemeindeverwaltungen aus ihrem Schlaf zu wecken versuchte. Es handelte sich um Fälle, in denen die Gemeinden für die Unterbringung von Flüchtlingen verantwortlich waren. Die Gemeinden haben eine private Firma engagiert: ABS / ORS in Pratteln. Diese verlangte für einen Platz auf schäbigen zweistöckigen Kajütenbetten SFR 550.00 pro Monat. Ehrensperger hat die einfache Rechnung angestellt, dass ein einziges Zimmer mit 5 Plätzen den Sozialstaat 2750 Franken im Monat kostet.

Dieses Zeitungs-Bild des banalen Agglo-Hauses drückt aus, was Lokalberichterstattung kann. Nicht nur musste die Betreuungsfirma die Wuchermieten senken, wichtiger noch ist, was die Nachbarn denken, wenn sie das unscheinbare Agglo-Haus sehen. Denken sie: Hier wohnen Asylschnorrer? Oder: Hier entfaltet unser Sozialstaat seine segensreiche Tätigkeit? Oder: Hier verdient sich eine Privatfirma an Flüchtlingen und an uns eine goldene Nase? Lokaljournalismus kann die Wahrnehmung der Umgebung modellieren.